Dienstag, 22. November 2011

Emisch und etisch

Es gibt unter volkskundlichen Forschern einen Ausdruck, den sie wahrscheinlich von Völkerkundlern übernommen haben, die nach langen intensiven Studien zu dem wurden, was sie erforscht haben: "going native".
Um eine fremde Kultur zu erforschen und sie wirklich zu verstehen ist es zum Teil notwendig sie 'emisch' zu betrachten. Das bezeichnet im Gegensatz zu 'etisch' den Blick von innen.
Fachbegriffe hin oder her, es gibt auch den entgegengesetzten Weg, den ich mal "going foreign" nennen möchte. Wie ein Wort, das man 100mal wiederholt plötzlich seltsam klingt wird die eigene Kultur fremd, wenn man sich zu sehr mit ihr beschäftigt.

Und so geht es mir gerade. Ein wichtiger Reiz, der von der Beschäftigung mit dem Schwert oder anderen mittelalterlichen Waffen und deren Techniken vor allem für Trainer (für Trainierende muss ich das noch erörtern) ausgeht, ist die Möglichkeit sich außerhalb des 'Normalen' zu bewegen. Frag jemanden, der sich ein oder zwei Mal in der Woche mit einem schwertähnlichen Objekt in der Hand in eine Halle stellt und er wird dir bestätigen, dass er zumindest ein bisschen verrückt ist - und jede Menge Spaß daran hat.
Darüber hinaus ist der Verdacht des Eskapismus nicht weit. Die meisten Sportler die ich kenne oder von denen ich gehört habe gehen einer geregelten Tätigkeit nach und sind auf dem Weg in ein gutbürgerliches Leben, aber so ganz befriedigend ist das nicht. Schwertkämpfer sind nicht dümmer als andere Leute und haben Augen im Kopf um zu sehen, dass in der Gesellschaft, egal ob man sie jetzt auf das Land bezieht oder einen größeren geographischen Raum manches besser laufen könnte.
Als Rückzugsraum bietet sich eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten an, mit denen man sich ähnlich wie es 'in der Welt da draußen' auch passiert messen kann/muss, aber zu einem anderen Zweck.
Wer eine Partnerübung besser macht bekommt keine Gehaltserhöhung. Wer eine Prüfung besteht bekommt keine Beförderung.

Als Trainer - und zum Teil auch als Schüler -  hat man die Möglichkeit eine Welt im kleinen zu erschaffen und wenn schon das große Ziel der Weltherrschaft nicht erreicht werden kann, dann ist das wenigstens eine oftmals funktionierende Alternative. Ich sage bewusst oftmals, weil es nicht genügt Trainer zu sein, um seine eigenen Vorstellungen durchzusetzen. In meiner Sportart ist das Training traditionell autoritär angelegt, in anderen auch, bzw. entwickelt es sich automatisch in diese Richtung, weil es einfacher ist, wenn einer sagt, was gemacht wird, als wenn 10 oder mehr versuchen sich zu einigen.

Insofern werden bei der Beschäftigung mit dem Schwert vielfach bekannte/gewohnte Strukturen übernommen aber mit anderen Inhalten gefüllt. Es gilt einen Bereich zu schaffen, in dem man seine Komfortzone nicht verlassen muss. Durch den sportlichen Umgang ist es einfacher Berührungsängste zu überwinden, durch die relative Homogenität der Gruppe muss man sich keine Gedanken über die Integration von Ausländern oder Behinderten machen.

Darüber hinaus ist es leicht sich über das Merkmal 'Schwertkämpfer' abzugrenzen. Wer die Vorstellung gegeneinander zu kämpfen grundsätzlich ablehnt - und sei es nur zum Spaß - ist grundsätzlich schon mal außen vor. Wer die selbe Faszination für das Schwert empfindet - egal ob die Gründe dahinter sich ähneln - ist grundsätzlich schon mal sympatisch.

Das ist auch einer der Gründe, warum es so wenig Bestrebungen gibt unter den verschiedenen Gruppen die es gibt voneinander zu Lernen oder in Kontakt zu kommen. Schwertkampf dient der Abgrenzung, so wie viele andere Hobbys auch. Golfer haben ein klar umrissenes Image, das zum Beispiel im konträren Gegensatz zu Kickboxern steht. Dabei sagt der Sport an sich ja noch nichts über den Charakter eines Menschen oder sonst irgend etwas aus. Für Schwertkämpfer muss sich dieses Image in der Gesellschaft erst konkretisieren, 'emisch' hat es aber schon recht klare Konturen. Dabei gibt es aber eine gewaltige Bandbreite, wie man das konkretisieren kann.

Ich war kürzlich in Hamburg und bin an einem Abend von einer gepflegten Unterhaltung bei Tee und Keksen nahtlos in ein Vollkontakttreffen in einer Garage mit Fellen an den Wänden gestolpert. Und obwohl der Umgang mit dem Schwert bzw. allgemeiner historischen europäischen Kampfkünsten unterschiedlicher kaum sein könnte, findet man doch Gemeinsamkeiten. Allen voran das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das bei genauerem Hinsehen auch ziemlich gegenstandslos sein kann. Doch zumindest für ein paar Stunden reicht die Faszination für historische Waffen/Techniken aus, um keine Differenzen aufkommen zu lassen.

Erhellend ist den Sport rund um mittelalterliche Techniken mit anderen Sportarten zu vergleichen, die nicht viel älter sind. Es fällt auf, dass sich Schwertgruppen aus den verschiedensten Gründen an bekannten Mustern orientieren: Sie organisieren sich in Vereinen, schließen Versicherungen ab, erheben Beiträge, halten regelmäßige Trainings ab.
Wie soll es auch anders gehen? Gegenbeispiele wie Parcour, Geocaching oder Surfen zeigen, dass es auch anders geht. Manches ist der Zweckmäßigkeit geschuldet, vieles aber auch einfach dem Selbstverständnis der Sportler. Frag einen Jugendlichen, der sich für Parcour begeistert, ob er einem Verein beitreten will und er wird wahrscheinlich der Meinung sein, dass das uncool ist.
Im Gegensatz zum Schwertkampf funktionieren moderne Trendsportarten grob gesagt nach dem Muster: Global vertreten - lokal ausgeführt - dezentral organisiert.
Schwertkämpfer hingegen sind zwar ebenfalls global vertreten, orientieren sich aber lokal mit einer zentralen Führung. Regelmäßiges Erscheinen im Training ist erwünscht, private Übungstreffen irgendwo im Garten ohne Aufsicht des Trainers eher nicht.
Man schielt mit einem Auge auf etablierte Kampfsportarten, ist aber noch nicht bereit systematisch auf eine entsprechend vergleichbare Größe hinzuarbeiten, weil man dafür den Status des 'anders seins' aufgeben müsste. Karate kann schließlich jeder machen, Schwertkampf ist hingegen nur was für sympathisch Verrückte.

Zurück zu 'going native'. In meiner Sportart musste ich mich erst einmal an die Gepflogenheiten gewöhnen und es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte es sein lassen, weil ich mich nicht damit anfreunden konnte. Jetzt da ich immer deutlicher sehe, was andere Gruppen machen und was der gemeinsame Kern ist, geht es mir wieder so und ich führe die Rituale meines Sports aus wobei ich mir bewusst bin, dass es Rituale sind, deren Form arbiträr ist.

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